Wovon ich noch erzählen wollte ...


  
15.09.2018 -   Hitty, Her First Hundred Years
oder
Hitty, Wie aus einem Stück Ebereschenholz
           eine edle Puppe wurde

   

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Schon im zarten Alter von 4 1/2 Jahren konnte ich lesen. Es scheint so, als hätte ich seitdem das Buch (als solches) nicht mehr aus der Hand gegeben. Ich bin eine Leseratte. Übrigens, in den USA spricht man von einem Bücherwurm und in Dänemark - so erzählte mir Lise Clasen - sagt man Lesepferd.

Wieso ich so früh lesen konnte? Ganz einfach, ich war das jüngste von drei Kindern. Meine älteren Geschwister hatten keine Lust, meinen schier unendlichen Durst nach Geschichten zu stillen. Natürlich genügten diese auch nicht mehr ihrem Anspruch an Literatur. Sie streikten irgendwann, wollten lieber ihre Bücher lesen. Da brachten sie mir das Lesen bei. Und so lese ich seit rund 65 Jahren jeden gedruckten Buchstaben, den ich vor die Augen bekomme.

   

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Ich habe viele Bücher gelesen, in denen eine Puppe die Heldin ist - auch heute lese ich noch hin und wieder Kinderbücher, die von Puppen handeln. Ich habe eine kleine „Bibliothek“ mit Büchern die von Puppen handeln. 

Gern würde ich jetzt sagen, dass ich bereits in den 50er Jahren das Buch von Rachel Field über die amerikanische Puppe gelesen habe. Doch das stimmt nicht - sehr bedauerlich. 

Leider wurde die deutsche Übersetzung (Thea Staedtler und Günther Reubel), erschienen im D. Gundert Verlag Stuttgart, mit Federzeichnungen von Alfred Seidel seit 1950 nicht mehr aufgelegt. 

   

Die Puppe Hitty wurde aus einem Stück irischen Ebereschenholz geschnitzt. In Deutschland sprechen wir auch von einem Vogelbeerbaum. 

Sie ist nur 6 ½ Zoll groß. Was bedeutet, sie ist knapp 17 cm. Eine wirklich spielfreundliche Größe. Sie führte ein sehr aufregendes Leben.

   

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Wie es bei Puppen eben ist, hatte sie keinen Einfluss auf ihren Aufenthaltsort und musste sich fügen. Sie wurde um 1827 in Maine geschnitzt. 

Mit ihrer ersten Puppenmutter ging sie auf Walfang, wurde schiffbrüchig und an Land gespült. Auf einer Südseeinsel als Göttin angebetet und verehrt. 

Sie wurde gerettet, kam nach Bombay zu einem Schlangenbeschwörer, mit der Tochter eines Missionars zurück in die USA und verbrachte eine Zeit bei den Quäkern. 

Schließlich wurde sie von der Kapitänstochter eines Mississippidampferns in dem Mississippi ausgesetzt und anschließend von einem Sklavenjungen wieder herausgefischt.

   

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Es wird nicht viele Puppen geben, von denen ein Daguerreotyp aufgenommen wurde. Aber Hitty schon. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese „Aufnahme“ heute in vielen Sammlungen an der Wand hängt oder auf dem Schreibpult steht.

Dem Zeitgeist entsprechend wurde in dem Buch der Walfang verherrlicht, die Sklaverei als normal angesehen und die Bewohner der Südseeinsel als Wilde bezeichnet. 

Die Menschen, die mit Hitty auf dieser Insel gestrandet waren, hatten Angst vor Menschenfressern. Dabei wird eine Zeit geschildert, die heute 90 bis 190 Jahre zurückliegt.

Für die Betroffenen eine unsagbar schreckliche Zeit und ich bin froh, dass ich im Heute lebe. Trotzdem sehe ich keine Veranlassung zum „Fremdschämen“. Ich mag das Wort schon nicht. 

Ich muss mich nämlich nicht für andere Menschen schämen. Nur hin und wieder vielleicht für mein eigenes Verhalten.

   

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1929 kramt Hitty in ihren Erinnungen und schreibt sie auf

Das, was Hitty in diesem Buch mit ihren eigenen Worten schildert, ist eben auch ein Stück unrühmliche Geschichte. Nicht nur der USA, sondern auch von uns in Deutschland. Wir können nur daraus lernen, wenn wir es nicht verschweigen.

Andere Menschen denken da anders als ich und so wurde das Buch in den 90er Jahren „umgeschrieben“. Autor Rosemary Wells, Illustration Susan Jeffers, Verlag Simon & Schuster. Sozusagen entschärft. Der Walfang wurde als das hingestellt, was wir heute für ihn empfinden, die Sklaverei verurteilt und die „Wilden“ weggelassen. Mancher mag's mögen. Sogar neue Episoden wurden eingebaut - So gerät Hitty hinter die Front zu den Konföderierten. Man kann darüber diskutieren, ob das gut für Hitty war. Aber eins ist an diesem Buch doch schön - die Bilder wurden coloriert und sprechen damit die jungen Leserinnen mehr an.

In Amerika gibt es immer wieder Neuauflagen des Originalbuches (Rachel Field) von 1929. 1930 wurde das Buch mit dem Newberry Award ausgezeichnet. Seit dem liest wohl jedes kleine und große Mädchen mit irischen Wurzeln dieses Buch und träumt von genau so einer Puppe.

   

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Hitty dürfte die einzige Puppe sein, die einen eigenen Flügel in einem Museum hat. Es gibt Neuauflagen der Puppe Hitty, ihrer Möbel, Kleider und sonstigen Habseligkeiten. Jede dieser neuen Puppen darf nach Fertigstellung eine Nacht im Museum in Hittys Bett schlafen. Es gibt Hitty Clubs und Internetseiten mit Newsletter, wo es Schnittmuster für ihre Kleider gibt und man Tipps findet, wo und wie man an die alten Stoffe oder deren Reproduktionen kommt. Es wird genau geschildert, welche Schätze Hitty hat und die finden sich nicht nur im Museum, sondern auch in den Puppenstuben der Sammlerinnen und Sammler wieder. So wie auf den beiden Fotos oben, die meine Freundin Sherri mir von ihrer „Hitty roombox“ schickte.
   

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Die Geschichte von Hitty endet 1929 in New York im Schaufenster des Antiquitätengeschäftes von Miss Hunter. Hitty ist von ihrem Stuhl gefallen. Zum Glück auf den Rücken. So konnte sie in den Himmel sehen, als ein neumodisches Flugzeug über New York kreiste. Sie stellte sich vor, dass sie eines Tages vielleicht auch einmal in so einem Flugzeug sitzen würde. 

Dort im Schaufenster wurde sie von Rachel Field gefunden. Das Aufregende an dieser Geschichte ist nämlich, dass es die Puppe wirklich gibt, dass sie sozusagen die Hand von Rachel Field geführt hat.

   

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Ich weiß nicht wirklich, was Hitty noch alles erlebt hat. Der Fantasie eines jeden Lesers sind da nur die eigenen Grenzen gesetzt. 

Aber, weil so schöne Geschichten niemals zu Ende gehen, lebt Hitty weiter, im Library Museum in Stockbridge, in den Herzen der Sammlerinnen in den USA, aber eben auch hier bei uns in Deutschland. 

Sie lebt hier weiter - anders, als in ihrer Heimat - ruhiger natürlich und vielleicht etwas hausbacken - ich glaube deutsche Puppen sind nicht so unternehmungs- lustig. Der Name Bärbel spricht für sich selbst.

Die www.tortula.de bleibt auf alle Fälle dran. Schon bald erfahren Sie hier, was Bärbel mit Hitty gemein hat. Wenn Sie es noch nicht getan haben, melden Sie sich doch für den
Newsletter an - dann verpassen Sie es nicht.

 

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Bildnachweis

Bild: 01, 10, 11, 12, 13, 16
entnommen aus dem Buch: Hitty, Her First Hundred Years, Verlag MacMillan Company, New York von 1046

Bild: 04, 07, 08, 09
entnommen aus dem Buch: Hitty: Wie aus einem Stück Ebereschenholz eine edle Puppe wurde

Bild: 17, 18, 19
Mit freundlicher Genehmigung von Julie DeGroat, die dieses Foto im Stockbridge Library Museum in Stockbridge, Massachusetts aufgenommen hat. Kleinigkeiten, die man käuflich erwerben kann gibt es bei:
https://www.etsy.com/shop/julieoldcrow

Viele weitere Fotos aus dem Museum von der Puppe, ihrer Kleidung und ihren „Besitztümer“ finden Sie auf der 
Webseite von Julie
http://www.julieoldcrow.com/museum/realhitty/myrealhittypics.htm

http://www.julieoldcrow.com/museum/realhitty/clothes.htm

http://www.julieoldcrow.com/museum/realhitty/stuff.htm

Bild: 05
Cover der verschiedenen modernen Auflagen von Hitty, Her First Hundred Years

Bild: 14, 15 
Sherri Farley, Missouri

Bild: 02, 03, 06
Famlienbesitz

Bild: 20
GMUwebSign

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